Artikel vom 17.11.2020
Bürgermeister Klaus Falk zum Volkstrauertag
Feier am Ehrenmal mit begrenzter Teilnehmerzahl
2020 ist der etwas andere Volkstrauertag: Kein Zug mit Chören, Feuerwehren, Kirchenvorstand, Gemeinderat vom Pfarrhaus in die Kirche, kein gemeinsamer Kirchgang, kein Männergesangverein, keine Mannschaften der Feuerwehren.
Aber unsere Gedenkfeier kann trotzdem stattfinden, wenn auch im verkleinerten Maßstab, und dazu begrüße ich Sie sehr herzlich. Mein besonderer Dank gilt, gleich an der Stelle, dem Posaunenchor Ottensoos-Rüblanden, der sich bereit erklärt hat mit einer kleinen Gruppe die musikalische Ausgestaltung zu übernehmen, den Fahnenabordnungen der Feuerwehren und des MGV, und allen anderen, die Durchführung der Gedenkfeier möglich machen. Warum das heute so ist wie es ist, wissen wir alle: Die Corona-Pandemie hat uns wieder fest im Griff, mit social-distancing bis hin zum Lock-Down. Die Corona-Pandemie stellt uns vor „eine der Größten Herausforderungen seit Ende des Zweiten Weltkrieges 1945“, wird vielfach proklamiert. Deshalb ist der Volkstrauertag in diesem Jahr 2020 umso mehr Anlass, das Augenmerk zurück auf dieses Jahr 1945 zu richten.
Vor 75 Jahren, am 08. Mai 1945, endete mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht der Zweite Weltkrieg in Europa. Noch einen Monat zuvor, am 09. April 1945, wurden zahlreiche Widerstandskämpfer hingerichtet. In Flossenbürg, Berlin-Plötzensee, Dachau und so weiter. Es waren Menschen aus allen politischen Gruppen und Schichten des Volkes: Soldaten, Arbeiter, Geistliche, Widerstandskämpfer: Unter Ihnen Wilhelm Canaris, Dietrich Bonhoeffer, Ewald von Kleist, Georg Elser. Die ungeheuerlichen Ausmaße und Folgen dieses von Deutschland ausgegangenen Angriffskrieges sind einzigartig in der Geschichte: Über 60 Millionen Menschen, mehr als die Hälfte von ihnen Zivilisten, verloren ihr Leben durch kriegerische Handlungen, Völkermord in Lagern konzentrierten Grauens, Bombardierung, Flucht, Vertreibung und Verschleppung. Etwa 6,3 Millionen Deutsche starben. Keine Familie blieb von den Auswirkungen des Krieges verschont, dies beweist auch unser Ehrenmall mit den Gedenktafeln für unsere Gefallenen und Vermissten aus Ottensoos, Rüblanden und Weigenhofen. Die Toten, diese an zahllosen Mahnmalen in Stein gemeißelten Namen, mahnen uns: Ihrer wollen wir heute besonders gedenken.
Totengedenken, offizieller Text:
Wir gedenken heute der Opfer von Krieg und Gewalt:
der Soldaten, die in den beiden Weltkriegen gefallen, ihren Verwundungen erlegen, in Gefangenschaft gestorben oder seither vermisst sind, der Männer, Frauen und Kinder aller Völker, die durch Kriegshandlungen ihr Leben lassen mussten.
Wir gedenken derer, die im Widerstand, um ihrer Überzeugung oder ihres Glaubens willen Opfer der Gewaltherrschaft wurden, und derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.
Wir gedenken der Männer, Frauen und Kinder, die in der Folge des Krieges auf der Flucht oder bei der Vertreibung aus der Heimat und im Zuge der Teilung Deutschlands und Europa, ihr Leben verloren.
Wir gedenken der Bundeswehrsoldaten und anderer Einsatzkräfte, die in Ausübung ihres Dienstes ihr Leben ließen.
Wir trauern mit den Müttern und mit allen, die Leid tragen, um die Toten.
Die Corona-Pandemie verhinderte heuer ein öffentliches Gedenken an die Befreiung der Konzentrationslager und im Mai an das Ende des Krieges weitgehend. 1945 ist aber auf jeden Fall das Epochenjahr, das für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bis zum Fall der Mauer 1989 und dem Ende des Kalten Krieges bestimmend war und bis heute nachwirkt, das dürfen wir nicht vergessen. Denn genau das ist heute wichtiger denn je: dieses „Wir-dürfen-nicht-vergessen“. Deshalb ist der Volkstrauertag sinnvoll und sein Begehen notwendig:
Warum ist das so wichtig: Er gibt die Möglichkeit, in unserer schnelllebigen Zeit innezuhalten: Erinnern – Gedenken – Trauern: Daraus als Handlung ableiten lässt sich das Mahnen, die Aufforderung an uns, dass es an uns liegt, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht mehr entstehen kann, nicht mehr passiert. Und, meine Damen und meine Herren, dieses, unser „dafür sorgen“ verlangt zunehmend mehr Aktivität und Anstrengung. Die Menschen in weiten Teilen Europas haben sich an ein Leben in Freiheit und Wohlstand, in Demokratie und Frieden gewöhnt. Die kollektive Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und das Bewusstsein für die zerstörerische Natur von Nationalismus und Protektionismus verflüchtigen sich. Der Verlust der Erinnerung ist eines der schwersten und heimtückischsten Übel unserer Zeit. Um es klar und deutlich zu sagen: Man sollte nicht einen ungeheuerlichen Krieg überlebt oder die Willkür einer Diktatur erlebt haben müssen, um die Friedenskraft und die Rechtsstaatlichkeitsgarantie der Europäischen Integration wertschätzen zu können. Frieden in Europa (und natürlich auch anderswo), meine Damen und Herren, ist auch heute nicht selbstverständlich. Die Überwindung von Nationalismus und Rassismus, von Hass und Intoleranz, von Unterdrückung und Verfolgung braucht Mut und Einsatz. Und zwar von allen Bürgerinnen und Bürgern, denen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung am Herzen liegt.
Demokratie gibt es nicht zum Nulltarif. Die Politiker „da oben“ sind nicht allein das, was eine Demokratie ausmacht. Sie allein sind nicht in der Lage, jedem von uns „alle demokratisch bedingten Freiheiten und Handlungsspielräume“ zukommen zu lassen, die wir gerne hätten. Derzeit erleben wir, wie die politische und zum Teil auch die gesellschaftliche Mitte „ausblutet“, wie die politischen Ränder links und rechts erstarken und die Stimmung gereizter, der Ton rauer wird. Und diese Entwicklung ist nicht nur weit weg von uns. Deshalb dürfen wir, wenn wir unseren Beitrag zu einer stabilen und ausgewogenen Demokratie und Frieden und Freiheit leisten wollen, nicht schweigen. Wir müssen mitreden, mitdiskutieren, mit überzeugen und uns ggfs. aber auch überzeugen lassen. Diesen schlechten, unser Land und unsere Demokratie gefährdenden Entwicklungen müssen wir uns mit unserer Meinung und unserer Haltung entgegenstellen. Lassen wir uns heute, getragen von der Erinnerung, welche furchtbaren Folgen unser Unterlassen haben könnte, ansprechen und den Auftrag annehmen, an einer friedvollen Gestaltung unserer Zukunft mitzuwirken.
Der Posaunenchor begleitete den Volkstrauertag musikalisch stilvoll mit den Stücken "Das Gebet, Ich hatt´ einen Kameraden und Näher, mein Gott, zu dir".