Artikel vom 29.07.2012
„Call me Iggy“ auf Arte
Im Ferrari durch Miami
Dieser Artikel von Lars Reusch erschien in der Frankfurter Allgemeine. Vielen herzlichen Dank, dass wir ihn hier veröffentlichen dürfen.
Ikone, Rampensau, „Real Wild Child“: Iggy Pop hat die Punkmusik mehrheitsfähig gemacht. Mit den Stooges hat er Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre Musik abseits des Mainstream gespielt, „I Wanna Be Your Dog“ etwa mit diesem großartigen, aus drei Akkorden bestehenden Gitarrenriff ist ein Musterbeispiel für die Vereinigung von Rock und Punk. Heute werden die Alben der Stooges gefeiert, damals musste die Band viel einstecken. Sie versumpfte in Drogen und Alkohol. Mit Hilfe von David Bowie hat Iggy Pop dann 1977 zwei erfolgreiche Soloplatten gemacht: „The Idiot“ und „Lust For Life“. Nach neuerlichen Abstürzen und weiterem Experimentieren ist er seit 2002 wieder mit den Stooges unterwegs.
Die Dokumentation „Call Me Iggy“ begegnet nun einem fünfundsechzig Jahre alten Musiker, der jeden Morgen Tai-Chi macht und nur noch in Maßen isst und trinkt. Iggy Pop, bürgerlich: James Osterberg, lädt den Regisseur Jean Boué in sein Zweithaus in Miami, um dann von sich selbst zu erzählen. Man sieht Iggy mal mit Lesebrille in einem Sessel Unterlagen durcharbeiten, mal ruhig daliegen und der Stille lauschen, mal über Biedermeier-Regale reden. Der rote Ferrari zwischen den selbstgepflanzten Kiefern zeugt aber ebenso wie sein entspannter Umgang mit dem Wort „fucking“ davon, dass man hier keineswegs einen spießigen alten Mann vor sich hat.
Mit Iggy im Plattenladen
Iggy erzählt aus seinem Leben, die Dokumentation lässt den Zuschauer in Ruhe teilhaben. Es gibt keine Kommentierung aus dem Off, keine Zwischenfragen, keine Weggefährten, die zum Interview gebeten werden. Es spricht allein Iggy Pop, einige Archivaufnahmen kommen hinzu. So entsteht kein Porträt, keine Psychologisierung von außen, sondern eben ein Auftritt. Gestatten: Jim Osterberg.
Es geht in „Call Me Iggy“ auch nicht zentral um seine Musik, sondern um den Unterschied zwischen der Kunstfigur Iggy Pop und dem Menschen Jim Osterberg. Diese Unterscheidung macht er selbst, und er hat sie schon damals ganz bewusst vollzogen: „Bis ich achtzehn, neunzehn, zwanzig war, habe ich es nie geschafft, etwas aus meinem Leben zu machen. Aber Iggy konnte das für mich tun.“ Der Durchbruch ließ trotzdem lange auf sich warten, „die ersten fünfzehn bis zwanzig Jahre war es beschissen, ich zu sein“, erzählt er. Inzwischen ist er nicht mehr von Iggy Pop abhängig, trotzdem kann er es bis heute nicht lassen, immer wieder in die Rolle zu schlüpfen: „Das ist ein Geschenk.“
Viel Neues erfährt man nicht in „Call Me Iggy“. Wer sich mit Iggy Pop beschäftigt hat, kennt seine Geschichte, weiß auch, wer Jim Osterberg ist. Dennoch: Der Film ist inspirierend. Diesen Mann, der seine seelischen und physischen Narben als Teil eines harten Weges zur Befriedung hinnimmt, im Ferrari durch Little Haiti in Miami fahren zu sehen, ihn zu begleiten, wenn er im Plattenladen stöbert oder mit Bauarbeitern scherzt, ist einfach gut. Und man kann sich schlicht mit ihm freuen, wenn er den Triumph auskostet, den ihm die Aufnahme der Stooges in die Hall of Fame des Rock’n’ Roll über all jene Kritiker bescherte, die ihm in seinen Anfangsjahren so zugesetzt hatten.
Call Me Iggy läuft am 29. Juli 2012 um 23 Uhr auf Arte.