Altstadtkurier - Das veränderte Gesicht der Altstadt
Immer mehr Traditionsläden schwinden - Handeln jedes Einzelnen ist gefragt
Unlängst schrieb die Abendzeitung: „Ladensterben in der City: Ausverkauf der leeren Meile“. Immer mehr lang ansässige Traditionsläden wie Jeans Kaltenbach, Sporthaus Münzinger am Marienplatz, das Schuhhaus Thomas in der Neuhauser Straße oder aber Traditionswirtshäuser - wie das Paulaner im Tal oder das Donisl müssen schließen - und die Kette reißt nicht ab. Zuerst hat es die flächenmäßig großen Geschäfte getroffen. Läden mit einer kleineren Verkaufsfläche, die meist inhabergeführt sind und insbesondere die Angebotsvielfalt unter den internationalen Ladenketten bereichern, drohen zu folgen.
Die Innenstadthändler leiden unter den Folgen der Corona-Pandemie sehr: Denn die Touristen und Geschäftsreisende bleiben immer mehr aus. Damit schwindet ein hoher Prozentsatz der Kaufkraft, auf die Händler und Wirte in der Innenstadt angewiesen sind. „Besonders viel Geld haben die Chinesen, Russen, Araber und Italiener hier gelassen“, weiß Bernd Ohlmann vom Handelsverband Bayern.
Anlass genug, in einem Gespräch mit Dagmar Wöhrl (Unternehmerin, Investorin und Politikerin) und Cornelia von Schaabner (Unternehmerin sowie Hochschuldozentin für Handels-Marketing und Vertriebs-, Kunden- und Servicemanagement) die Lage des stationären Einzelhandels näher zu beleuchten.
CvS: Durch die Einzelhandels-Modekette Wöhrl sowie durch die enge Verbindung zum Modehaus Beck am Rathaus sind Sie eine exzellente Kennerin der Einzelhandels-Szene und zeigen in der wöchentlich erscheinenden TV-Show „Die Höhle der Löwen“ immer wieder aufs Neue ihr sicheres unternehmerisches Gespür. Von daher freut es mich, Ihre Einschätzung zur Lage des Einzelhandels zu erfahren. Einige Meldungen, wie „Die Umsätze im Einzelhandel sind stabil und auf Wachstumskurs, trotz Corona!“ scheinen Hoffnung in dieser von Corona gebeutelten Zeit zu geben. Wie ordnen Sie solch eine Aussage ein?
DW: Diese Meldungen zeigen, wie überholt die offiziellen Statistiken und wie realitätsfremd die daraus abgeleitete Berichterstattung und die politischen Statements sind. Stationäre - also die Umsätze, die in den Geschäften vor Ort gemacht werden - mit Online-Umsätzen in einen Topf zu werfen, entspräche einer Addition aller Übernachtungen, egal ob im Hotel oder daheim mit der Schlussfolgerung, dass es keinen Rückgang der Übernachtungen in den Hotels gäbe.
CvS: Schon lange vor Ausbrechen der Corona-Pandemie hat sich der Online-Handel eines steigenden Zuspruchs seitens der Käuferschaft erfreut. Denn eine Bestellung 24h/ 7 Tage die Woche von zuhause - oder wo auch immer man sich gerade aufhält - aufzugeben und direkt zu seinem Wunschort liefern zu lassen, scheint bequem und daher für viele ein präferierter Weg. Gleichzeitig begann das leise, jedoch kontinuierliche Sterben des stationären Einzelhandels, welches nun bedingt durch die Corona-Krise um ein Vielfaches beschleunigt wird. Wie werten Sie die Entwicklung des stationären Einzelhandels vor diesem Hintergrund?
DW: Tatsache ist, dass der Onlinehandel seit Jahren die Existenz zigtausender Einzelhandels-Geschäften gefährdet und das nicht nur, weil er für die Kunden oftmals bequemer ist, sondern weil ihn der Gesetzgeber kaum mit Auflagen belastet und damit einem unfairen Wettbewerb Tür und Tor öffnet. Ich sage nur Ladenschlussgesetz, bauliche und gewerbliche Auflagen, Stellplätze usw. So ging auch der Onlinehandel als Gewinner der Corona-Krise hervor. Der Handel musste über Nacht komplett schließen. Mieten und Betriebskosten aber liefen weiter, aktuelle Ware konnte nicht verkauft werden und die restriktiven Regelungen bei der Wiedereröffnung verschlimmerten die Situation, anstatt sie zu verbessern.
CvS: Von Seiten der Regierung wurden den Einzelhändlern wie auch anderen Unternehmen und Selbstständigen schnell und unbürokratisch Corona-Soforthilfen bereitgestellt, um die Liquidität nicht zu gefährden. Wie sehen Sie solche Hilfen?
DW: Vollkommen ungenügend waren die angebotenen Hilfen. Ein Kredit, eine gestundete Miete, die verzinst und zurückgezahlt werden müssen, verschieben nur das Ende.
CvS: Also sehen Sie diese Hilfen eher als Tropfen auf den heißen Stein. Wenn Sie uns einen Ausblick geben, wie würden Sie die zukünftige Entwicklung des stationären Einzelhandels prognostizieren, wenn weiter gemacht wird, wie bisher?
DW: Die Folgen werden bitter sein. Tausende von Fachgeschäften, insbesondere in den Randlagen und in kleineren Städten werden schließen. Hunderttausend Arbeitsplätze und mit ihnen viele Existenzen werden verloren gehen. Doch wirklich dramatisch werden die Folgen für Innenstädte. Ohne Handel keine Vielfalt, ohne Vielfalt kein Leben und ohne Leben droht die Verslumung. Es ist noch nicht zu spät, aber ohne eine völlig neue Orientierung der Politik in Richtung „Pro stationären Einzelhandel!“ werden die Wunden, die Covid 19 hinterlässt, nicht mehr heilbar sein.
CvS: Vielen Dank, Frau Wöhrl, für das Gespräch und Ihre offenen Worte!
Wollen wir hoffen, dass Dagmar Wöhrls Worte als Mahnung verstanden und frühzeitig nicht nur in der Politik aufgenommen werden, sondern dass jeder einzelne Bürger sich bewusst macht, dass er durch sein Kaufverhalten aktiv mitgestalten kann, ob die Geschäfte des stationären Einzelhandels weiter bestehen gemäß dem Motto „Support your local - oder auch: Was man liebt und erhalten wissen möchte, sollte man pflegen und dort kaufen“. Der Aufschrei wäre groß, wenn noch mehr liebgewonnene Fachgeschäfte und Einzelhändler sowie Traditionshäuser, die das Gesicht der Münchener Altstadt seit mehreren Generationen geprägt haben, nicht mehr existieren würden.
Also: Kurz vor dem nächsten Kaufakt innehalten und überlegen, ob man in diesen besonderen Zeiten nicht doch besser die lokalen Anbieter vor Ort unterstützen möchte. Denn nur gemeinsam sind wir stark.
Auch in Zeiten des Lockdowns haben einige findige Einzelhandelsunternehmen schnell und kreativ, neue Wege und Möglichkeiten gefunden, ihren entgangenen Umsatz aus dem stationären Geschäft ansatzweise zu kompensieren, indem sie ihre Service-Leistungen erweitert haben. Das ist die positive Seite der Medaille: Das deutsche Unternehmertum hat bewiesen, wie agil und kreativ es auf sich verändernde Umstände und Kunden-Bedürfnisse reagieren kann. Nun gilt es, dies als Kunde auch zu würdigen.
Cornelia von Schaabner