Artikel vom 01.08.2020
#HIPistbunt
Hilpoltstein ist bunt
Gemeinsame Erklärung der Parteien und Fraktionen Bündnis 90 / Die Grünen (GRÜNE), Christlich-Soziale Union (CSU), Freie Wähler (FW) und Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) in Hilpoltstein:
#HIPistbunt – für eine offene und demokratische Gesellschaft, gegen rechte Meinungsmache
Seit einigen Wochen finden jeden Samstag in Hilpoltstein kleine Demonstrationen vor der Residenz statt. Anfangs lockten sie einige auf Grund der Corona-Krise besorgte Bürger*innen aus dem Landkreis an, die sich auf das Grundgesetz beriefen und gegen die Einschränkungen ihrer Freiheiten wendeten. Wirkte das noch harmlos, entwickelte es sich nach und nach zu organisierten Treffen, die zwar öffentlich zum Austausch unter dem Begriff der Meinungsvielfalt aufrufen, in Wirklichkeit jedoch dem Austausch von kruden Einordnungen und Verschwörungstheorien dienen.
Viele der „Corona-Rebellen“ bezweifeln die Corona-Pandemie. Staatliche Institutionen wer-den als erklärtes Feindbild und als unglaubwürdiger Teil eines großen Verschwörungskomplexes dargestellt. Mehr Glaube schenkt man Youtube-Kanälen, die auf verschiedene Weisen die Corona-Pandemie zum aufgeblasenen Schreckgespenst erklären. Ausführungen über das Versagen des Staates, die Verharmlosung von Kriegsverbrechern durch angeblich falsche Berichterstattung, die abwertende Verwendung des Begriffes „Leitmedien“ und die bewusst nicht eindeutige Distanzierung zur Anwesenheit von AfD-MdL Ferdinand Mang oder einem bekannten Reichsbürger zeigen klare Tendenzen.
Es ist richtig und wichtig, jede Beschränkung von Versammlungs-, Gewerbe- und Reisefreiheit, die als Corona-Maßnahme oder aus anderen Gründen beschlossen wird, kritisch zu betrachten und zu prüfen. Die selbsternannten Corona-Rebellen haben Recht, wenn sie auf Demonstrati-onen das Grundgesetz hochhalten und dieses als höchstes Gut des Rechtsstaates feiern und einfordern.
Sie vergessen oder missachten aber das Wichtigste:
- Die aktuellen Maßnahmen sind NICHT die willkürlichen Schritte eines diktatorischen Regimes oder Schachzüge einer feindlichen Verschwörung.
- Im Gegenteil: Sie sollen helfen, eine medizinische Katastrophe abzuwenden und damit Menschenleben schützen - ganz im Sinne des Grundgesetzes.
Noch klarer, welche Personen hier in welcher Form agieren, wird es, wenn man die Onlineak-tivitäten und -gespräche der Gruppe verfolgt: Als Quellen werden mehrere Plattformen und Magazine, die für die Verbreitung verschwörungstheoretischer und rechtspopulistischer Inhalte bekannt sind, genannt und beworben.
Immer wieder wird auch die sog. „Agora-Initiative“ erwähnt, die von einem der Sprecher der Gruppe ins Leben gerufen wurde. Auch hierbei wird auf rechte, durch den Verfassungsschutz beobachtete bzw. als rechtsextremer Verdachtsfall eingeordnete Medien verwiesen. Es wird der Schluss gezogen, dass Fernsehen und Zeitungen Meinungen definieren würden und nicht als Quelle für Informationen dienen sollten, sondern nur die eigene Recherche zu einer echten Wahrheit führen könnte.
Auch in der Telegram-Gruppe des Bündnisses wurden von Mitgliedern aus dem gesamten Umkreis und darüber hinaus krude Thesen zur Meinungsfreiheit, der Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik oder den Menschenrechten gepostet sowie u.a. Zitate von ehemaligen NPD-Politikern geteilt. Presse und Fotografen werden mit der Stasi gleichgesetzt. Mitglieder fallen durch die Verwendung rechtsextremer Symbolik oder den Verweis auf die QAnon-Verschwörungstheorie auf. All dies wurde nicht kommentiert, sondern teilweise sogar weiter diskutiert oder auf stattfindende Stammtische verschoben.
Wir – alle demokratischen Parteien des Hilpoltsteiner Stadtrats – beobachten die Demonst-rationen und ihr Umfeld mit großer Sorge und verurteilen den Ansatz von Rassismus und Antisemitismus aufs Schärfste. Solche kruden Theorien und Erklärungsansätze sind brandgefährlich!
Das, was bei den Corona-Demos aktuell passiert, ist das Schreckgespenst: Menschen verschiedener politischer Lager gehen scheinbar ein Zweckbündnis ein. Ihr vermeintliches Ziel: Freiheitsrechte zu bewahren. Dadurch verbünden sie sich aber mit Verschwörungstheoretiker*innen sowie alten und neuen Rechten. Und deren Programmatik ist an vielen Stellen antisemitisch, rassistisch und reaktionär. Diese inhaltliche Nähe erfordert eine andere Einordnung der Demonstrationen, als bisher jetzt in der Öffentlichkeit geschehen. Solche Zweckbündnisse sind inakzeptabel.
Wir wollen aufrütteln und klar machen, wer hinter den Veranstaltungen in Hilpoltstein steckt. Jede*r Anwesende muss sich im Klaren sein, mit wem man auf die Straße geht und demonstriert. Wir halten zusammen und stehen ein für die Freiheit der Presse und der Wissenschaft sowie für die Krisenmechanismen und die Funktionalität unseres Staates. Wir vertrauen auf die Daten und Einordnungen staatlicher Institutionen und wenden notwendige Maßnahmen an, in der Verantwortung für uns und unsere Mitmenschen.
Wir halten zusammen – Hilpoltstein hält zusammen:
Wir erleben unsere Stadt anders: Hilpoltstein ist seit vielen Jahren bekannt für seine Offenheit, seine Vielfalt, für Inklusion und eine lebendige Gesellschaft. Verschwörungstheorien und viel mehr noch rechtsextremes Gedankengut haben bei uns keinen Platz. Bei allen inhaltlichen Unterschieden stehen wir hier als die demokratischen Parteien und Fraktionen Hilpoltsteins zusammen. Unsere klare, gemeinsame Botschaft: Die auf der Demo verbreiteten Thesen haben keine Meinungshoheit in unserer Stadt. Wir lehnen diese Veranstaltungen ab und wollen aufzeigen, wie wir Hilpoltstein empfinden.
Lasst uns alle zusammen zeigen, wie bunt unsere Stadt ist. Wir rufen daher alle Bürger*innen sowie alle Vereine, Verbände, Institutionen und Kirchengemeinden auf, sich dem Motto „Hilpoltstein ist bunt!“ anzuschließen, als klares Zeichen gegen Rassismus, Ausländerhass und Ausgrenzung. Unter dem #hipistbunt wollen wir den ganzen Sommer über Aktionen vor Ort und auf den sozialen Netzwerken starten, um dann in der „Woche des bürgerlichen Engagements“ im September gemeinsam unser Motto zu leben. Wir werden durch Informationsveranstaltungen, Vorträge, Stände, Kunst und Kultur und gemeinsame Aktivitäten auf das Thema aufmerksam machen. Wir wollen aufzeigen, wie wichtig demokratische Werte in unserer Gesellschaft sind.