Artikel vom 12.01.2024
Das Klinikum Erding in roten Zahlen
Wie, bitte, macht man so hohe Schulden?
Erdinger Anzeiger vom 12.Januar 2023
Das Klinikum Erding rutscht immer tiefer in die Roten Zahlen. Aber wie kommt der Schuldenberg überhaupt zustande? Wir haben nachrechnen lassen.
Erding – Es werden nicht die 16 Millionen Euro Schulden, mit denen das Klinikum vor einem Jahr gerechnet hatte, es werden aber auch nicht die 20 Millionen, die sich im Herbst abgezeichnet hatten. Das Klinikum Erding dürfte im vergangenen Jahr rund 18 Millionen „Miese“ gemacht haben – vor allem die letzten drei Monate waren für das Krankenhaus sehr gute. Wie häuft man einen solchen Schuldenberg auf? Unsere Zeitung hat Krankenhausdirektor Dr. Dirk Last und Landrat Martin Bayerstorfer gebeten, das Defizit vorzurechnen. Und sie nach der Zukunft befragt. Beide betonen: Defizite wie in Erding seien in Deutschland mittlerweile Regel, nicht Ausnahme.
Seine Rechnung beginnt Last mit der Einführung der Fallpauschalen ab 2003 – für jede Behandlung gibt es von den Kassen einen fixen Betrag – unabhängig davon, wie lange ein Patient in der Klinik ist. Deren Ziel, so Last, war eine möglichst kurze Verweildauer. „Das hatte zur Folge, dass auch Erding so viele Leistungen wie möglich anbieten wollte, um die Betriebskosten hereinzubekommen.“ Doch zuletzt seien die Kosten stark gestiegen, die Kassen hätten ihre Leistungen aber nicht erhöht. „Wir dürfen die Preise nicht anheben, sind also immer mehr im System gefangen“, schildert Last.
Die teuersten und defizitärsten Bereiche sind seinen und Bayerstorfers Worten zufolge die Geburtshilfe und die Notaufnahme. „Unser Kreißsaal ist rund um die Uhr offen. Bisher hatten die fünf Assistenz- und zwei Oberärzte sechs Nachtdienste im Monat. Die Ärztegewerkschaft, so Last, habe maximal vier Nacht- und zwei Wochenenddienste durchgesetzt. „Folglich mussten wir mehr Ärzte einstellen, wir brauchen jetzt mindestens acht Vollzeitstellen“, so der Direktor. Vom aktuellen Defizit verursacht nur die Gynäkologie 2,5 Millionen Euro.
Rund fünf Millionen Euro entfallen laut Last auf die Notaufnahme. Die Kassen erstatten nur echte Notfälle, also Patienten, die danach stationär aufgenommen werden. „Das sind aber nur 50 bis 60 Prozent, den Rest können wir noch am selben Tag wieder heimschicken – und zahlen entsprechend drauf.“ „Das ist ein Service, den wir unseren Bürgern in Not auch bieten wollen“, stellt Bayerstorfer klar.
Weil Erding eine Schlaganfalleinheit betreibt, muss das Klinikum sicherstellen, dass jeden Tag ein Neurologe zur Visite kommt. Und die Unfallchirurgie muss mittlerweile täglich einen geriatrischen Assistenzarzt zu allen Patienten mit Oberschenkelhalsbruch zur Visite schicken – laut Last alles mit erheblichem personellem Mehraufwand verbunden.
Ein indirekter Defizittreiber ist der Mangel an Pflegekräften. Bayerstorfer erklärt: „Wir können nur so viele Betten belegen, wie wir für sie Pfleger haben. Sind es zu wenig, müssen wir etwa planbare Eingriffe verschieben. Diese Einnahmen fehlen dann.“ Den gleichen Effekt hätten personelle Ausfälle insbesondere im OP-Bereich, sekundiert Last.
Letztlich füttert auch die Pflegeschule das Defizit – zuletzt mit einer Million Euro jährlich. Doch daran wollen Bayerstorfer und Last – verständlicherweise – nicht rütteln, denn ein nicht unerheblicher Teil des Pflegenachwuchses kommt aus der eigenen Schule.
Aber macht es wirklich Sinn, ein so kleines Haus wie die Klinik Dorfen am Leben zu erhalten? Da lässt der Landrat nicht mit sich verhandeln: „Das Minus ist nicht Dorfen anzulasten, im Gegenteil. Die Geriatrie läuft sehr erfolgreich.“
Und wie gegensteuern? „Das tun wir im Alltag, wir sind laufend dabei, unsere Prozesse zu optimieren.“
Bayerstorfer ist – jetzt auch – für Kooperationen offen, „bevorzugt mit Kliniken aus dem Bereich des Rettungszweckverbandes Erding-Freising-Ebersberg“. Er kann sich „sieben bis acht medizinische Leuchttürme am Erdinger Klinikum vorstellen“. Das würde aber bedeuten, dass Erding nicht mehr alles anbietet und Patienten in andere Häuser schicken müsste. Bei der endoprothetischen Versorgung verhandle man etwa mit der Airport-Klinik.
Wird der Kreistag so hohe Defizite noch mittragen, insbesondere die dort versammelten Bürgermeister? „Mein Eindruck ist, dass alle am Klinikum festhalten wollen“, sagt Bayerstorfer. Zwar weise auch das klinikeigene MVZ ein Defizit auf. Der Landrat will dennoch an ihm festhalten – „schon weil der Trend ganz stark und künftig noch intensiver in Richtung ambulante Versorgung geht“. ham